„Eine Wohnung kann Leben retten“
Anna-Lena Ouarzazi ist Immobilienökonomin (ADI) und akquiriert bei der Johann-Wilhelm-Rautenberg-Gesellschaft e.V. (JWRG e.V.) Wohnungen für das „Housing First Rautenberg“ Projekt“.
Frau Ouarzazi, was ist so innovativ an „Housing First“?
„Housing First“ ist ein Paradigmenwechsel in der Wohnungslosenhilfe, der darauf abzielt, obdachlosen Menschen schnell und unbürokratisch ein neues Zuhause zu geben. Denn es dreht das klassische Modell der Wohnungslosenhilfe um. Normalerweise steht eine eigene Wohnung erst am Ende eines langen Unterstützungsprozesses. Bei „Housing First“ beginnt die Hilfe mit einer Wohnung. Das bedeutet: Die Menschen erhalten einen Vertrauensvorschuss und die Möglichkeit, zur Ruhe zu kommen, um ihr Leben zu ordnen. Parallel zur Wohnung bekommen sie von uns sozialpädagogische Unterstützung, um langfristig den Alltag meistern zu können.
Wie sind Ihre bisherigen Erfahrungen ?
Anna-Lena Ouarzazi: Unsere Erfahrungen sind sehr positiv. In Deutschland liegt die Erfolgsquote von „Housing First“ bei 80 bis 94 Prozent. Das bedeutet, dass die Mehrheit der Menschen ihre Wohnung dauerhaft halten kann. Wir stehen kurz vor Abschluss des zehnten Mietvertrages und konnten sogar eine Wohnung nachvermieten, als eine Teilnehmerin Hamburg freiwillig verlassen hat. Diese Vermieterin hat gern wieder an uns vermietet. Natürlich gibt es auch Herausforderungen, zum Beispiel, wenn Menschen sehr lange auf der Straße gelebt haben. Aber mit guter Kommunikation konnten wir diese bislang immer bewältigen.
Wie läuft die Zusammenarbeit mit Wohnungsunternehmen ab?
Die Vermieter schließen einen ganz normalen Mietvertrag direkt mit den Housing-First-Teilnehmern ab. Wir stehen jedoch als Ansprechpartner bereit, falls es Probleme gibt. Unsere Sozialarbeiter treffen die Mieter regelmäßig und unterstützen sie dabei, ihr Leben zu stabilisieren.
Was für Wohnungen suchen Sie für „Housing First“?
Gefragt sind kleinere Ein- und Zwei-Zimmer-Wohnungen. Die Miete übernimmt in der Regel das Jobcenter oder das Grundsicherungsamt. Wer seine Wohnung für „Housing First“ zur Verfügung stellt, kann zusätzlich zu den regulären Kosten der Unterkunft einen Zuschlag von 15 Prozent erhalten. Das bedeutet: Die Bruttokaltmiete darf aktuell bei bis zu 658 Euro/Monat liegen, Heizkosten werden zusätzlich übernommen. Eine gute Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr ist ebenfalls von Vorteil, da die Mieterinnen und Mieter üblicherweise keinen eigenen Pkw haben. Grundsätzlich suchen wir Wohnungen im gesamten Hamburger Stadtgebiet, wobei wir auch individuelle Wünsche berücksichtigen, wenn jemand beispielsweise in seinen alten Stadtteil zurückkehren möchte. Momentan suchen wir ganz konkret eine Wohnung für eine Frau, die gern in ihr altes Umfeld in Altona zurückmöchte. Da wären wir für Angebote sehr dankbar.
Welche Motivation haben die Wohnungsunternehmen, die mit Ihnen zusammenarbeiten?
Die Wohnungsunternehmen profitieren davon, dass sie mit uns einen Ansprechpartner haben, falls es einmal nicht reibungslos läuft. Bei größeren Wohnungsunternehmen kann die Vermietung im Rahmen von Housing First zudem zur Erfüllung ihrer ESG- oder CSR-Ziele beitragen. Viel wichtiger ist aber der soziale Aspekt: Mit jeder bereitgestellten Wohnung trägt ein Vermieter dazu bei, einem obdachlosen Menschen eine neue Perspektive zu geben – und möglicherweise sogar ein Leben zu retten.
Wissen Sie schon, wie es mit Housing First weitergeht?
Unser Projekt ist aktuell aus Mitteln der Deutschen Fernsehlotterie finanziert und läuft bis 2026. Doch wir sind optimistisch, dass Housing First verstetigt wird, denn es gibt viele positive Evaluierungen. In anderen Städten wie Berlin oder Bremen ist Housing First bereits erfolgreich etabliert. Wir gehen davon aus, dass auch in Hamburg bald eine dauerhafte Finanzierung durch die öffentliche Hand gesichert wird. Entsprechende Verhandlungen starten noch in diesem Jahr.
An wen können sich Vermieter wenden, die Wohnungen zur Verfügung stellen möchten?
Interessierte Vermieter können sich direkt an mich wenden: Zur Anzeige der E-Mail-Adresse wird Javascript benötigt.. Noch mehr Informationen zu unserem Verein und zu „Housing First“ gibt es auf der Webseite der Johann-Wilhelm-Rautenberg-Gesellschaft e.V. Wir freuen uns, wenn Wohnungsunternehmen uns kontaktieren – jede Wohnung macht einen Unterschied!